Mit Wanderstock und Jakobsmuschel

Pilgernde Leser erkundeten den historischen Jakobsweg durch das Braunschweiger Land zwischen Kaiserdom und Klosterkirche.

Wanderstab vorneweg. Das Tempo ist sehr zügig. „Pilgern heißt doch auf den Weg kommen und nicht auf der Flucht sein“, sagt Thomas Gebauer. Dieter Prüschenk weiß dies zu erwidern: „Das stimmt. Wir sind nicht auf der Flucht. Aber das ist kein Spaziergang, denn Pilgern bedeutet auch, den Körper zu erfahren.“

Am Lutterspring bittet unser Pilgerbegleiter zur inneren Einkehr: Den nächsten Streckenabschnitt sollen wir schweigend bewältigen. Wir lauschen den Vögeln, hören Froschquaken und das Atmen des Nachbarn, entdecken Waldmeister und riechen den blühenden Bärlauch.

Am Drachenberg machen wir Rast. Der Elm ist angenehm kühl. Prüschenk wickelt einen großen Laib Brot, Pilgerbrot, aus einem Geschirrtuch und schneidet großzügige Stücke ab. Andächtig teilen wir das Brot und verschnaufen. Den Körper erfahren, mutig stehenbleiben und weitergehen. „Pilgern“, sagt Frank Opitz, Pilger aus Salzgitter, in die Stille, „Pilgern heißt, dass die verschiedenen Konfessionen ein Stück des Weges gemeinsam gehen und wir kommen zur Besinnung. Das ist doch toll.“

Da stimmt Bernhard Gaas ein Wanderlied an. Auch Thomas Gebauer fällt ein passender Kanon ein: „Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden“. Wir Pilger schauen gedankenverloren zu Boden und auf die schöne, grüne Landschaft. Ja, besinnlich, das ist es, für jeden einzelnen auf seine Art.

Dieter Prüschenk erklärt: „Früher war das Pilgern ein absoluter Ablasshandel in Santiago de Compostela.“ Und heute? Heute gehen hier Naturfreunde, Ruhesuchende, Eheleute, ja, vielleicht sogar Sünder zusammen durch die Region – jeder von uns seinen ganz eigenen Weg.

Durch das Reitlingstal laufen wir über Erkerode und Lucklum nach Veltheim (Ohe). Die Mitglieder der Kirchengemeinde „Heilig Kreuz“ begrüßen uns mit Apfelschorle, Gulaschsuppe und Rhabarberkuchen. Franz Gondeck vom Kirchenvorstand erzählt uns etwas zu der Geschichte der St. Remigius Kirche. So herzliche Gastfreundschaft haben wir nicht erwartet.

Nach etwa 20 Kilometern und 8 Stunden fangen die Waden an zu schmerzen. Die leichten werden zu immer schwereren Schritten. Wohl denen, die gutes Schuhwerk und nahtlose Strümpfe tragen. Die Gespräche wandern langsam von den eigenen Lebenswegen zu Tipps und Tricks bei Muskelkater und Erschöpfung.

Während wir uns unserem Ziel in Riddagshausen nähern, sagt Frank Opitz zu mir: „Ja, das Christentum ist schon eine schöne Art, mit der eigenen Endlichkeit fertig zu werden.“ Pilgern, das ist strammes Gehen, das ist Besinnung und es ist auch Erkenntnis.

aus BZ vom 14.06.2014

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